Vergib uns unsere Schuld

Jugement du Pape Formose (1870)

Jugement du Pape Formose (1870)

Im Museum der Stadt Nantes in Frankreich hängt ein Ölgemäl­de von Jean-Paul Laurens. Es trägt den Titel „Verurteilung des Papstes Formosus.“ Das Bild ist nichts für schwache Nerven. Es zeigt Papst Stephan VI., der im Jahr 897 seinen toten Vor­gän­ger Papst Formosus aus der Gruft holen ließ, ihn in päpst­liche Gewänder gekleidet und auf den Papstthron gesetzt hat. Dann hat der amtierende Papst seinen toten Vorgänger in aller Öffentlichkeit angeklagt und verurteilt. Formosus wurde im Nachhinein als Papst abgesetzt und alle seine Weihen wurden für ungültig erklärt. Nach der Urteilsverkündung wurde der Tote schließlich vom Thron heruntergetragen und in den Tiber geworfen. Da kann man nur sagen: Finsterstes Mittelalter! Aber auch typisch für die Doppelmoral in der Kirche. Einer­seits betet man jeden Tag im Vater unser, „wie auch wir ver­geben unseren Schuldigern.“ Aber wenn es darauf ankommt, können selbst Kirchenfürsten nachtragend und rachsüchtig sein ohne Ende, sogar noch weit über den Tod hinaus.

Wie sagte Jesus im Evangelium? „Nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal sollst du deinem Bruder vergeben.“ Es gibt viele gute Gründe, warum es uns als Christen gut zu Gesicht steht, vergeben und vergessen zu können. Denken wir nur an das Gebot der Nächstenliebe oder an die Werke der Barmherzigkeit, die Christus uns aufgetragen hat. Da darf ich nicht kleinkariert nachrechnen, ob jemand meine Vergebung verdient hat. Da geht es auch nicht darum, seinen Sinn für Gerechtigkeit durchzusetzen und die vermeintlichen Fehler meiner Mitmenschen zu bestrafen. Nein, vergeben und ver­gessen zu können ist letztlich eine göttliche Tugend, ein Abbild von Gottes unerschöpflicher Großzügigkeit, die wir nach­ahmen können. In Psalm 145 steht: „Der Herr ist gnädig und barmherzig, langmütig und reich an Gnade. Der Herr ist gütig zu allen, sein Erbarmen waltet über all seinen Werken.“ Ein guter Grund dafür, stets bereit zur Versöhnung zu sein, liegt in dem Zitat von William Shakespeare: „Heize deinem Feind den Ofen nie so heiß, dass du dich selbst daran verbrennst.“ Es ist ja wahr: Rachsucht kann einen Menschen innerlich verbrennen und so vieles auf beiden Seiten zerstören. Nehmen wir als Beispiel nur die Tausenden von Gerichtsverhandlungen zum Thema Nachbarschaftsstreit. Keine von beiden Parteien will nachgeben. Jeder pocht auf sein Recht. Von Großzügigkeit, Langmut oder Vergebung keine Spur. Und der größte Witz: Am Ende können sich beide Parteien gar nicht mehr daran erinnern, wie der Streit überhaupt angefangen hat. Streiten ist einfach zur sinnlosen Gewohnheit geworden. Von Vergebung keine Spur.

Der einzige Lichtblick, den ich für eine bessere Zukunft sehe, liegt bemerkenswerterweise in unserem Schulsystem. Denn an den Schulen lernen junge Menschen von Anfang an, sich nach einem Streit die Hand zu reichen. Dafür werden Streit­schlichter ausgebildet. Sie achten darauf, dass Streitende miteinander ins Gespräch kommen, einander zuhören, Verständnis füreinander entwickeln und Kompromisse finden. Nicht Aggression, sondern Verständnis füreinander löst Konflikte. Ich glaube, nichts anderes hatte unser Herr Jesus im Sinn, und das nicht siebenmal, sondern siebenundsiebzigmal. Nicht Kernbeißer, Nussknacker und Zähnefletscher sollten wir einander sein, sondern immer mehr ein Spiegel der Groß­zügigkeit Gottes. Er hat uns in allem so reich beschenkt, dass es grober Undank wäre, im Alltag ständig nachzutarocken und kleinlich aufzurechnen. Paulus sagt: „Das alles kommt von Gott, der uns durch Christus mit sich versöhnt und uns den Dienst der Versöhnung aufgetragen hat. So bitten wir also an Christi statt: Lasst euch mit Gott und untereinander versöhnen!“ (2 Kor 5,18)

Ulrich Manz

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