Der amerikanische Schauspieler Eddie Murphy ist vielen Kinogängern ein Begriff, etwa als Dr. Dolittle oder als der Prinz aus Zamunda. Besonders berührt hat er mich allerdings in dem Spielfilm Noch tausend Worte. Dort spielt er einen Verleger, der Bücher und Romane möglichst gewinnträchtig vermarktet und seine Autoren regelmäßig übers Ohr haut. Dabei hat er immer dieselbe Methode: Er redet wie ein Wasserfall, lässt niemanden zu Wort kommen, stiftet Verwirrung und zieht damit seine Geschäftspartner über den Tisch. Eines Tages trifft er auf einen indischen Weisheitslehrer, einen Guru, dessen neues Buch er unbedingt herausbringen will und den er mit seinem Wortschwall ebenfalls hinters Licht führt. Da rächt sich der Guru und verflucht ihn, indem er auf wundersame Weise einen Baum in Eddie Murphys Garten entstehen lässt. Dann sagt er zu ihm: „Dein Leben ist mit dem Leben dieses Baumes verwachsen. Jedes Mal, wenn du ein Wort sagst, verliert dieser Baum ein Blatt. Er hat noch tausend Blätter, und du hast noch tausend Worte. Wenn alle Blätter gefallen sind, wird der Baum sterben, und du wirst mit ihm sterben.“ Eddi Murphy redet wie gewohnt weiter und mit einem Mal fällt sogleich ein ganzer Haufen Blätter zur Erde. Jetzt muss er sein Leben radikal ändern. Anstatt ohne Punkt und Komma zu reden, muss er jedes einzelne Wort auf die Goldwaage legen. Er muss zuhören, gestikulieren und andere bitten, für ihn zu sprechen. Aber gerade das bringt sein Leben immer mehr in Ordnung. Aus dem geldgierigen Egoisten wird doch tatsächlich ein nachdenklicher und einfühlsamer Mensch.
Als der Baum schon kaum mehr Blätter trägt, verwendet Eddie Murphy die wenigen Worte, die ihm noch bleiben, um seiner Frau und seinem Sohn zu sagen, wie sehr er sie liebt. Die letzten drei Worte spricht er am Grab seines Vaters, mit dem er zuletzt im Streit auseinandergegangen war, und er sagte: „Ich verzeihe dir.“ Da fällt er vor dem Grab in Ohnmacht und für einen Moment ist unklar, ob er jetzt wirklich gestorben ist. Aber nein: Es ist ja eine Filmkomödie. Eddie Murphy erwacht und kehrt geläutert nach Hause zurück. Auf wundersame Weise trägt der Baum in seinem Garten wieder unendlich viele frische Blätter und Blüten. Eddie Murphy ist gerettet und schließt seine Familie in die Arme. Der Fluch des indischen Guru hat aus ihm einen besseren Menschen gemacht.
Stellen Sie sich vor, das würde Ihnen passieren. In Ihrem Garten stünde so ein Baum, Sie hätten nur noch tausend Worte und müssten jedes Ihrer Worte auf die Goldwaage legen. Ich glaube, das würde sehr viel Gutes bewirken und die Welt ein wenig friedlicher machen. Denn womit beginnt denn aller Streit? Womit fangen Hass, Wut, Zorn und Gewalttätigkeit an? Doch nur mit bösen Worten, mit Schimpfworten, Beleidigungen, Gerüchten, Lügen und Lästereien. Genauso beschreibt es Jesus Christus in seiner Bergpredigt. Das Gebot „Du sollst nicht töten“ beginnt für ihn bereits bei den Worten, die töten können. Seine Anweisung lautet: „Sag nicht: Du Dummkopf! Sag nicht: Du gottloser Narr! Hüte deine Zunge! Schließe lieber Frieden!“ (Mt 5,22-24)
Sogar beim täglichen Gebet empfiehlt unser Herr Jesus Christus Maß und Zurückhaltung. Ich zitiere nochmals aus der Bergpredigt: „Wenn ihr betet, sollt ihr nicht plappern wie die Heiden, die meinen, sie werden nur erhört, wenn sie viele Worte machen. Macht es nicht wie sie. Denn euer Vater weiß, was ihr braucht, noch ehe ihr ihn bittet.“ (Mt 6,7-8) Ich habe einmal ausprobiert, wie weit ich als Prediger mit tausend Worten kommen würde. Es würde gerade einmal für eine Predigt von 15 Minuten oder für drei Kurzpredigten reichen. Das hat mich doch etwas nachdenklich gemacht. Aber nicht nur beim Predigen, sondern in allen Lebenslagen gilt die Einsicht: Es bedarf täglicher Übung und hoher Selbstdisziplin, um ein sicheres Gespür für den Umgang mit der eigenen Sprache zu entwickeln.
Der amerikanische Schriftsteller Ernest Hemingway hat einmal gesagt: „ Man braucht zwei Jahre, um sprechen zu lernen, und fünfzig Jahre, um schweigen zu lernen.“ In der Tat: Es ist immer wieder eine Kunst und eine Herausforderung, zur rechten Zeit das rechte Wort zu finden, den richtigen Ton zu treffen und auch einmal nichts zu sagen. Denn „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.“
Ulrich Manz