Binden und lösen

Papstwappen

Papstwappen

Dass die Himmelsschlüssel, die Christus dem Apostel Petrus anvertraut hat, etwas Besonderes sind, hat die Kirche schon sehr früh erkannt. Bereits im 4. Jahrhundert nach Christus, zur Zeit des römischen Kaisers Konstantin, wird Petrus mit zwei Schlüsseln in der Hand dargestellt. Das Papsttum hat die zwei Schlüssel auf seine Münzen prägen lassen und damit das päpstliche Wappen verziert. Im Laufe der Jahrhunderte hat es sich eingebürgert, die Schlüsselgewalt der Päpste mit einem goldenen und einem silbernen Schlüssel darzustellen, die einander überkreuzen. Dazu muss man die Erklärung aus dem Matthäus-Evangelium kennen, wo Jesus zu Petrus sagt: „Was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein.“

Binden und Lösen, Abschließen und Aufschließen, verschlossen oder aufgeschlossen sein: Darauf lässt sich eine ganze christliche Lebensphilosophie aufbauen. Wie wichtig ist es doch, mit einer Sache abzuschließen, mit einer Ent­täuschung, mit einem Fehler, den ich nicht mehr ungeschehen machen kann, oder mit einem Streit, der sich sonst ewig hinziehen würde. Ebenso wichtig ist es, aufgeschlossen zu sein, um die Zeit, die vor mir liegt, mit all ihren Heraus­forderungen und Möglichkeiten entdecken zu können. Es macht das Leben reich und strukturiert unseren Alltag, wenn die Tür zur Vergangenheit zur rechten Zeit abgeschlossen und die Tür zur Zukunft zur rechten Zeit geöffnet wird. Ich kann sogar jeden einzelnen Tag mit einem Morgengebet eröffnen und mit einem Abendgebet abschließen. So gebe ich Gottes segnender Kraft und seinem Heiligen Geist in meinem Leben Raum zur Entfaltung.

Aber auch die christliche Pädagogik kann von der Schlüssel­symbolik außerordentlich profitieren. Erwachsene können den Kindern, die ihnen anvertraut sind, gar nicht früh genug beibringen, die beiden Schlüssel recht zu gebrauchen. In diesem Fall nennt man das Gebote und Verbote. Eine Pädagogik, die nach dem Motto „laissez faire“ alles durch­gehen lässt und keinerlei Grenzen kennt, öffnet damit Tür und Tor zur Verwahrlosung. Allerdings ist auch das andere Extrem verhängnisvoll, nämlich alles zu verbieten und dadurch die Kinderseele mutlos und unselbstständig zu machen.

Die hohe Kunst christlicher Erziehung, wie sie ein Don Bosco oder eine Maria Montessori vorgelebt haben, bestand immer im goldenen Mittelweg von Binden und Lösen. Immer muss es Grenzen geben, die als Hilfe und Wegweiser für die Persönlichkeitsentfaltung dienen. Regeln, Gebote und Verbote sind nicht von sich aus schlecht, sondern wertvolle Hilfsmittel, die bereits dem jungen Leben Halt und Struktur geben, und zwar so lange, bis mit dem goldenen Schlüssel die Tür zur Selbstständigkeit, zur Kreativität und zur Freiheit auf­geschlossen werden kann.

Auch für Erwachsene können die beiden Schlüssel hilfreich sein. Da habe ich es selbst in der Hand, ob ich mir etwas verbiete oder etwas abverlange, auch wenn es manchmal schwerfällt. Umgekehrt darf es in meinem Leben Zeiten geben, wo ich mir etwas gönne, wo ich offen bin für Neues, wo ich aufgeschlossen und unbefangen auf andere zugehe. Ein Sprichwort sagt: „Wer nach allen Seiten hin offen ist, der kann nicht ganz dicht sein.“ Genau darum geht es: zur rechten Zeit Grenzen zu ziehen und dennoch frei und unbefangen auf meine Mitmenschen zuzugehen und für Neues offen zu sein. Dafür gebe Gott uns täglich neu seinen guten Heiligen Geist.

Ulrich Manz

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