Auferstehung – an jedem Morgen neu

Auferstehung Christi von Matthias Grünewald (1480-1530)

Auferstehung Christi von Matthias Grünewald (1480-1530)

„Das will ich mir zu Herzen nehmen, darauf darf ich harren: Die Huld des Herrn ist nicht erschöpft, sein Erbarmen ist nicht zu Ende. Neu ist es an jedem Morgen; groß ist deine Treue.“ Mit diesen Worten beschreibt das Buch der Klagelieder (3, 21-23) eine Erfahrung, die jedem offensteht, der mit Gott unterwegs ist: Gott ist an jedem Morgen neu, weder nachtragend noch altbacken, immer erfrischend jung und voll grenzenloser Kreativität. Und nicht nur das. Sein Heiliger Geist bewirkt, dass auch mein Inneres an jedem Morgen neu geschaffen und erneuert wird: „Sendest du deinen Geist aus, so werden sie alle erschaffen und du erneuerst das Antlitz der Erde.“ (Ps 104, 30) Deshalb darf ich mich Tag für Tag wie neu geboren fühlen.

Der Apostel Petrus schreibt: „Ihr seid neu geboren worden, nicht aus vergänglichem, sondern aus unvergänglichem Samen: aus Gottes Wort, das lebt und das bleibt.“ (1 Petr 1, 23) Und Jesus Christus mahnt uns: „Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen.“ (Joh 3, 3) Mit anderen Worten: Gottes Reich beginnt überall dort zu wachsen, wo geistige Entwicklung stattfindet. Gott kommt überall dort zu Wort, wo veraltete Strukturen aufbrechen und neues Leben entsteht. „Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung: Das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ (2 Kor 5, 17)

Jesus Christus verdeutlicht diesen Wachstumsprozess im Gleichnis vom Weizenkorn: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.“ (Joh 12, 24) Genauso ist Jesus Christus nach seinem Tod am Kreuz in die Erde gelegt und von Gott am dritten Tage auferweckt worden. Das ist das eigentliche Geheimnis unseres christlichen Glaubens: „Dieses Verwesliche muss sich mit Unverweslichkeit bekleiden und dieses Sterbliche mit Unsterblichkeit.“ (1 Kor 15, 53) Dies ist „das Bad der Wiedergeburt und der Erneuerung im Heiligen Geist“, das durch die „Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes, unseres Retters“ bewirkt worden ist. (Tit 3, 4-5) Seither leben wir Christen ganz und gar aus dem Glauben an die Auferstehung und an das ewige Leben. Jeder Morgen ist für uns ein Ostermorgen: Aufwachen – aufstehen – auferstehen! Jeder Sonntag ist für uns ein Fest der Auferstehung. Immer tiefer erkennen wir: Gott ist ein Freund des Lebens. In allem ist sein unvergänglicher Geist. (Weish 11, 26 – 12, 1) Gottes Wille zum Leben ist immer stärker als der Tod. Gott will leben – in allen seinen Geschöpfen und in allen seinen geliebten Kindern.

Der Apostel Paulus hat versucht, dieser neuen Existenzweise eines Christen gerecht zu werden, indem er seine geistige Erneuerung aktiv angestrebt hat: „Eines aber tue ich: Ich vergesse, was hinter mir liegt, und strecke mich nach dem aus, was vor mir ist. Das Ziel vor Augen, jage ich nach dem Siegespreis: der himmlischen Berufung, die Gott uns in Christus Jesus schenkt.“ (Phil 3, 13-14) Paulus ermutigt uns, es ihm gleichzutun: „Legt den alten Menschen des früheren Lebenswandels ab, der sich in den Begierden des Trugs zugrunde richtet, und lasst euch erneuern durch den Geist in eurem Denken! Zieht den neuen Menschen an, der nach dem Bild Gottes geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit! (Eph 4, 22-23) Im christlichen Glauben sind letztlich Leben und Sterben, Geburt und Auferstehung wie die zwei Seiten ein und derselben Medaille. Wie Jesus Christus im Augenblick seiner Geburt den Geist und die Kraft des lebendigen Gottes in unserer Welt vergegenwärtigt hat, so hat er im Augenblick seines Todes die letzte sterbliche Schale jener unsterblichen Frucht abgelegt, die wir ewiges Leben nennen und zu der wir alle im Licht der göttlichen Gnadensonne auferstehen.

Das einmalige Wunder und Geheimnis der Auferstehung Christi am Ostermorgen wird für mich immer wieder zum Schlüssel für das Verständnis des Lebens und zum Mantra der christlichen Frömmigkeit und Weltanschauung. Auferstehung geschieht an jedem Morgen neu – wir müssen nur einen Blick dafür haben und dieses Geheimnis unseres Glaubens tagtäglich mehr verinnerlichen. Dann entfaltet Gottes Auferstehungsgeist in uns seine unsterbliche Kraft. Ein Vergleich aus der Welt der Wissenschaft kann das verdeutlichen. Die moderne Zellforschung hat herausgefunden, dass sich die verschiedenen Zellen des menschlichen Körpers in einem fließenden Prozess regelmäßig erneuern. Wenn alte Zellen absterben, wachsen beinahe alle Körperzellen nach. Alle zehn Jahre haben wir dadurch ein neues Skelett. Hautzellen erneuern sich innerhalb von wenigen Tagen, während das Herz ein Leben lang kaum neue Zellen nachbildet. Am wenigsten verändern sich die Zellen des zentralen Nervensystems. Dennoch: Das Wunder der Regeneration verschafft uns sozusagen alle 10 bis 15 Jahre einen neuen Körper.

Wir können diesen Vergleich für das fruchtbar machen, was der Apostel Paulus über den Leib Christi und über uns als seine lebendigen Glieder gesagt hat: “Denn wie der Leib eine Einheit ist, doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obgleich es viele sind, einen einzigen Leib bilden: So ist es auch mit Christus. Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen, Juden und Griechen, Sklaven und Freie; und alle wurden wir mit dem einen Geist getränkt.” (1 Kor 12, 12-13) Es ist der Auferstehungsgeist Gottes, mit dem wir getränkt sind und der uns dazu befähigt, uns körperlich und geistig ständig zu erneuern. Was einmal am Ostermorgen an Auferstehung geschah, das hat uns die Augen dafür geöffnet, was jeden Tag zum Aufbau des Reiches Gottes und zur Vervollständigung der Schöpfung geschieht. Es liegt an uns, in diesen kreativen Prozess einzusteigen und zu dem zu werden, was man als den schönsten Ehrentitel der ersten Apostel Jesus Christi bezeichnen kann: “Zeugen seiner Auferstehung.” (Apg 1, 22)

Ulrich Manz

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